B2 Reißt Barrieren und Stigmata ein

Aus Jusos Schleswig-Holstein
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Gremium: Landeskonferenz
Sitzung: Landeskonferenz Lübeck 2021
Bezeichnung: B2
Antragsteller: Landesvorstand


Beschluss: Angenommen


Die Juso-Landeskonferenz möge beschließen:

Unsere Gesellschaft ist vielfältig und bunt. Genauso vielfältig sind auch die Steine, die Menschen in den Weg gelegt werden können. Aber je mehr Steine im Weg sind, desto schwerer wird der Zugang zu Bildung, einer Karriere oder politischen Engagement, auch bei uns. Wenn wir jedoch für “Gleiche Chancen für Alle” kämpfen, müssen wir uns mit bestehenden Stigmata und Barrieren befassen und diese bei uns abbauen, um allen den Zugang zu uns zu gewähren. Denn Stigmata und Barrieren, die für Nicht-Betroffene unsichtbar sind, führen zu ungleichen Startbedingungen. Für viele Betroffene ist politisches Engagement also undenkbar. Auch Dinge, die uns gar nicht auffallen, können sehr große Hürden sein.

(Wortdefinitionen: Stigmatisierungen führen dazu, dass einem Menschen Eigenschaften zugeschrieben werden, um diesen abzuwerten. Barrieren sind Hindernisse, um die man nicht herumkommt.)

Behinderungen, Chronische Erkrankungen und Neurodiversität

Bei dem Wort Barrieren denken die meisten wahrscheinlich als erstes an Behinderungen. In den letzten Jahren hat sich der Blickwinkel geändert. Man geht nicht mehr nur davon aus, dass eine Person aufgrund einer Diagnose behindert ist. Vielmehr wird das soziale Umfeld betrachtet und wie sehr dieses Umfeld mit Barrieren einen Menschen in seiner Teilhabe behindert. Das bedeutet, dass wir alle in der Verantwortung sind, Barrieren einzureißen und eine höchstmögliche Teilhabe zu ermöglichen. Und das können wir nicht nur, indem wir uns für Inklusion in Schulen und dem Arbeitsmarkt einsetzen. Wir Jusos können im eigenen Verband beginnen und diesen barrierearm gestalten und somit allen die Chance geben, bei uns mitzuwirken. Deshalb wollen wir:

  • Rollstuhlgerechte Veranstaltungsorte, mit einer Anmerkung auf der Veranstaltungseinladung. Sollte eine Rollstuhlgerechte Veranstaltung nicht uneingeschränkt möglich sein, muss auch dies auf der Einladung vermerkt werden.
  • Werden weitere Angebote zur Barrierereduzierung verwendet, sollen diese auch in der Einladung erwähnt und zu Beginn einer Veranstaltung erklärt werden.
  • Möglichst Räumlichkeiten mit automatischen Türen benutzen.
  • Glastüren markieren, damit diese jeder erkennen kann.
  • Auf dem Boden liegende Kabel markieren, damit niemand darüber stolpert.

Barrierefreiheit bedeutet viel mehr, als nur eine Rampe zu bauen, um einen rollstuhlgerechten Zugang zu ermöglichen. Vor allem im Bereich der “unsichtbaren Behinderungen” gibt es vieles, was wir noch tun können. Auch nützt Barrierefreiheit meist mehreren, wenn nicht gar allen. Diejenigen mit wenig Zeit profitieren z.B. von leicht verständlichen Texten und jemand, der vorübergehend in seiner Mobilität eingeschränkt ist, freut sich über einen Aufzug.

Hier sind einige Beispiele, die umgesetzt werden können, um Hürden abzubauen:

  • Vor jeder Veranstaltung die Bedürfnisse betroffener Personen abfragen
  • Safer-Spaces zur Reizreduktion bzw. um aus der Situation rauszukommen (z.B. extra (Ruhe-)Raum)
  • Bereitstellung von Texten in einer Legasthenie-freundlichen Schriftart
  • Skills-Notfallkasten bereitstellen bei akuten psychischen Problem
  • auf einer Veranstaltung Essen im Vorfeld ankündigen, damit Menschen mit Stoffwechselerkrankungen oder Intoleranzen Probleme mitteilen können und Alternativen geschaffen werden, oder sie sich selbe Essen mitbringen können.
  • Wege und Räume mit Piktogrammen ausschildern

Auch bei Printmedien und Social-Media können Barrieren überwunden werden, in dem z.B.

  • gut lesbare Schriften verwendet werden,
  • die Texte auch in Versionen in einfacherer Sprache und mit einer reduzierten Anzahl an Fachworten geschrieben werden,
  • Farbkontraste eingehalten werden, sodass die Farben für Farbenblinde unterscheidbar sind,
  • Bildunterschriften in Postings gesetzt werden und Untertitel bei Videos eingefügt werden.

Um diesen Kampf möglichst effektiv zu gestalten, brauchen wir mehr Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Denn nur durch Wissen und offene Kommunikation können Stigmata, die wir alle als Vorurteile in uns tragen, gebrochen werden. Zusätzlich dazu bekommen wir so auch die Möglichkeit, besser auf die Probleme von anderen Genoss*innen in unserem Umfeld zu reagieren und diese weiterhin in unsere Arbeit zu einzuschließen.

Klassismus

(Klassismus beschreibt (strukturelle) Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen aufgrund der sozialen Herkunft oder Position.)

Armut schränkt die Teilhabe ein. Wenn wir es uns jedoch zur Aufgabe machen wollen, Barrieren einzureißen, müssen wir uns auch innerhalb unseres Verbandes damit auseinandersetzen, wie wir möglichst viele Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen integrieren können. Aktuell ist der dominierende Anteil der Jusos studiert. Wenn jetzt z.B. jemand eine Ausbildung macht, hat diese Person nicht immer das Privileg, ein Studi-Ticket zu haben. Die Anfahrt zu einer Landesveranstaltung kann somit nicht nur wegen der Uhrzeit, die sich mit der Arbeitszeit überschneidet, schwierig werden, sondern es kann auch teuer werden. Und, wenn dann das Geld fehlt, überlegt man es sich natürlich mehrfach, ob man dann zu einer Veranstaltung fährt oder nicht. Aber auch kleinere Situationen können dazu führen, dass Menschen sich in ihrer Teilhabe eingeschränkt sehen. Wenn man nicht betroffen ist, sind einem diese Situationen nicht bewusst. Deshalb fordern wir:

  • Organisation von Fahrgemeinschaften und die Mitnahme über ÖPNV-Tickets, für Menschen, die kein Ticket haben. Erstattung von Anund Abfahrtkosten für Personen, die nicht über ein Studiticket verfügen
  • Veranstaltungen, die vergleichsweise kostenintensiv sind, müssen frühzeitig angekündigt werden, um sparen zu ermöglichen
  • Endgeräte auf Veranstaltungen zum Verleih zur Verfügung stellen
  • Extra-Kosten auf Veranstaltungen bei der Einladung ankündigen, wie z.B. Kosten für das Bier am Abend oder Kosten für Auswärtsessen

Sprache als Barriere

Auch Sprache kann eine Barriere sein.

Fachbegriffe haben nicht nur den Zweck, Sachverhalte möglichst kurz zucbeschreiben. Die Verwendung von bestimmten Fachbegriffen innerhalb einer Gruppe führt zu einem Zugehörigkeitsgefühl. In unserem Verband haben wir die unterschiedlichsten Bildungshintergründe. Ist aber eine Fachsprache dominierend, führt dies dazu, dass sich einige Menschen nicht als Teil der Gruppe verstehen. Deshalb wollen wir:

  • dass möglichst wenig Fachsprache in Workshops verwendet wird. Sollte diese unumgänglich sein, können Fachbegriffe in Fußnoten erklärt werden. Dies gilt natürlich nicht für Workshops, bei denen angekündigt wird, dass diese ein bestimmtes Vorwissen voraussetzen.
  • dass Fachworte bei Anträgen definiert werden.
  • dass bei Veranstaltungen ein Handzeichen vereinbart wird, das signalisiert, dass eine Definition für ein Fachwort oder eine Abkürzung gerade benötigt wird.
  • die Erstellung und Verbreitung eines Abkürzungsverzeichnisses mit Parteikürzeln und den dazugehörigen Erklärungen.

Aber nicht nur Fachsprache kann eine Barriere darstellen. Menschen, die mit einer anderen Muttersprache bzw. Bilingual aufgewachsen sind, oder auch Menschen, die in einem Nicht-Akademiker*innen- Haushalt groß geworden sind, haben nicht immer denselben Wortschatz, wie ein Mensch, der in einem akademischen Haushalt mit nur einer Sprache aufgewachsen ist. Deshalb können wir nicht davon ausgehen, dass jeder Mensch im Umgang mit Sprache ein ähnliches Selbstbewusstsein hat. Wir müssen uns stets daran erinnern, dass einige Menschen Sprachbarrieren spüren, wenn sie einen Text schreiben, einen Wortbeitrag leisten oder sich in einer Diskussion beteiligen. Was aber nicht bedeutet, dass diese Menschen keinen wertvollen Beitrag leisten können. Wir sollten Menschen nicht unterbrechen und korrigieren, weil sie nicht so wortgewandt sind, sondern ihnen zuhören und sie unterstützen.

Safer-Space

Immer noch haben viele ein Bild von politischer Arbeit im Kopf, wonach sie “knallhart” sei und man viel aushalten müsse. Diese Vorstellung soll aber nur verschleiern, dass diese Arbeitsatmosphäre vor allem Diskriminierung gegenüber bestimmten Gruppen bedeutet. Dadurch entsteht ein Raum, in dem sich vor allem weiße heterosexuelle cis Männer wohlfühlen und Räume dominieren. Wenn wir wollen, dass diskriminierte Gruppen mehr teilhaben können, müssen wir dafür sorgen, dass unser Verband ein Safer-Space und diskriminierungsfreier Raum wird. Hier müssen wir massiv in Awareness-Arbeit investieren und dabei vor allem die Perspektiven von diskriminierten Gruppen in den Vordergrund stellen und intersektional denken.

(Intersektionale Aktivist*innen machen darauf aufmerksam, dass Diskriminierung nicht nur auf einer Ebene geschieht, sondern bei vielen Menschen auf vielen verschiedenen Ebenen. Menschen, die von Sexismus betroffen sind, können genauso auch von Rassismus und Klassismus betroffen sein und allen anderen Ismen.)